Pandemiebedingte Veränderungen

tl;dr

Mein Postfach läuft voll, Student:innen machen sich weniger Notizen, Online-Termine mit Student:inne und Unternehmen klappen erschreckend gut - agile Methoden beibringen ist eine Katastrophe.

Normalbetrieb

Seit ein paar Wochen befindet sich unserer Hochschule wieder im Normalbetrieb. Mehr oder weniger. Präsenzunterricht ist angeordnet, Masken sind weiterhin in den Veranstaltungen Pflicht, jeder darf rein - und raus. Keine Eingangskontrollen für nG{+} für n ∈ {2, 3}.

Ein Wort zu E-Mails

Der Wechsel an die Hochschule war ursprünglich erfrischend - mein E-Mail-Konsum hat um ca. 90% abgenommen. Geschrieben wurde nur wenn etwas wichtig war. Es gibt regelmäßige Sitzungen der Gremien, in denen alles Wichtige besprochen wird. Das Abarbeiten der Mails war in der Regel in weniger als einer Stunde am Tag möglich. Meist konnte ich dies schon morgens bzw. Abends in der Bahn erledigen. Inbox Zero war an der Tagesordnung.

Wenn ich derzeit nicht in der Vorlesung oder einer anderen Lehrveranstaltung teilnehme, verbringe ich fast meine gesamte Zeit damit E-Mails zu “bearbeiten”.

Ein wertgeschätzter Mitarbeiter der Fakultät äußerte sich erst kürzlich sehr treffend zu dem Phänomen:

Ich schaffe und möchte es nicht mehr, jede E-Mail Zeile für Zeile zu lesen und zu verstehen.

Diese Aussage teile ich vorbehaltlos.

Bei jeder E-Mail, die ich schreibe, überlege ich mir daher schon seit langer Zeit: wieviel Mail-Verkehr - und damit Arbeit - zieht diese eine E-Mail nach sich. Konsequenterweise überlege ich mir: Kann ich kurz anrufen? Kann es warten bis ich die Person sehe? Kann es bis zur nächsten Sitzung warten?

Aber nicht nur das Volumen hat sich verändert, auch die “Hemmschwelle” der Student:innen ging zurück. Typische Mails, die ich von studentischer Seite in meiner Inbox neuerdings finde:

Gegenüber Student:innen versuche ich stets höflich und gehaltvoll zu antworten.

Aber auch im Kollegium hat der Mail-Verkehr stark zugenommen. Chit Chat, Anfragen, die in einem der regelmäßigen Termin gut aufgehoben - und Anfragen, derer Bearbeitung einiges an Zeit und kognitiven Ressourcen kostet. Dabei handelt es sich um E-Mails bei denen ich nicht weiß, was ich damit machen soll.

Löschen? Ein ToDo (das behandeln wir in einem späteren Post) erstellen? Antworten? Das sind die drei Aktionen, die nach Inbox Zero zur Verfügung stehen.

Just in diesem Moment harren derer 33 E-Mails in meinem Postfach, die sich vehement weigern sich bearbeiten zu lassen.

Was online klappt

Pandemiebedingt habe ich alle studentischen Termine (Vorgespräche zu Abschlussarbeiten, Sprechstunde und gemeinsame Treffen mit betrieblichen Betreuern) auf Online-Plattformen verlegt. Das klappt erschreckend gut - in 99% der Fälle Schalten die Student:innen die Kamera ein. Das zeigt, die “schwarze Kacheln” ist ein Phänomen des digitalen Klassenraums und nicht weil der Dozent dabei ist. Definitiv werde ich dies weiter so anbieten.

Den Unternehmen oder eher die betrieblichen Vertretern kommt das Online-Format entgegen. Wir sparen Reisezeit. Die Präsentationen in Kick-Off Terminen funktionieren einwandfrei. Auch dieser Rahmen wird beibehalten.

Wie schaut es mit Klausureinsichten aus? Ja, auch diese führe ich online durch. Hier habe ich lange gezögert, da prinzipiell die Fragen leichter zu kopieren, “screenshotten” oder abzufilmen sind. Nach mehreren pandemiebedingten Online-Semestern lässt sich hier jedoch kein Unterschied erkennen. Ein signifikanter Anstieg korrekter Antworten bei wiederholt verwendeter Aufgabe lässt sich nicht beobachten.

Ein Blick in den Hörsaal

Die Semester, die die Hochschule nur online kennen gelehrt haben, tun sich sichtbar schwer in der Präsenz mitzuarbeiten. Gruppenarbeiten und -übungen sind aus meiner sicht träger, es kostet aus Sicht des Dozenten mehr Energie die Kursteilnehmer:innen zu motivieren.

Erschreckend musste ich feststellen, dass zumindest in den ersten Wochen die Student:innen überhaupt nichts mitschreiben. Viele hatten weder ein Stift und Block oder gar ein Notebook dabei.

Frei nach Xunxi:

不闻不若闻之,闻之不若见之,见之不若知之,知之不若行之;学至于行之而止矣。

Alles digital?

In meinen Lehrveranstaltungen bringe ich den Student:innen agile Methoden und Ansätze bei: Scrum, Kanban, DevOps. Kann man das alles online lernen?

Sicherlich gehen die Meinungen auseinander, ob man agile Transformation digital oder analog durchführen kann. Kann ich alles digitalisieren? Verteilte Teams arbeiten ja auch nicht mit Papier-Boards. Dazu fällt mir nur ein Agile Coach ein, dessen Worte mir immer noch in den Ohren hallen:

Lasst um Himmels Willen den Leuten das Papier.

Für Student:innen, die die Prozesse nicht im Unternehmen in funktionierenden Teams lernen, ist es schwer die - doch sonderlich anmutenden - Prozesse aus den Lehrbüchern nachzuvollziehen, dabei haben wir in der agilen Welt so viele praktische Übungen, um diese Prozesse zu erlernen.

All together

Es gibt einige Dinge, die ich sicherlich beibehalten werde, die die Pandemie überstehen werden. Einiges drehen wir zurück, Präsenzunterricht macht an einer Präsenzhochschule sicherlich Sinn. Digitale Formate werden aber den traditionellen Unterricht stetig ergänzen.